Einen Blick in die Zukunft wagen... - die psychologischen Mechanismen der Wahrsagerei
Gesellschaft / 19.1.2021 / 0 Kommentare
Besonders um den Jahreswechsel sind spirituelle Bräuche und Traditionen sehr beliebt. Wer hat nicht schonmal versucht, aus gegossenem Blei sein Schicksal für das kommende Jahr zu lesen? Oder am ersten Januar sein Horoskop studiert?
Unsere heutige Zeit ist eine sehr verwissenschaftlichte und rationale Zeit. Wahrsagerei, Astrologie oder gar Hellseherei - sie alle haben mittlerweile den Ruf unglaubwürdig zu sein, haltlose Aussagen aus dem Nichts zu machen und Menschen nur das Geld aus der Tasche ziehen zu wollen. Aber dennoch haben sie, besonders zum Jahresanfang, einen Zulauf, der einen gegenteiligen Eindruck erwecken könnte. Ein neues Jahr bringt viel Hoffnung, aber auch Ungewissheit mit sich. Viele suchen dann Rat und Unterstützung bei denjenigen, die scheinbar mehr Einblick in unsere Zukunft und unser Schicksal haben. Fakt ist, die Nachfrage nach Zukunftsvorhersehung boomt.
Der Wunsch nach Antworten die eigene Zukunft betreffend ist groß. Doch kann es diese Antworten wirklich geben? Für manche Menschen wird die Suche danach sogar zur Sucht. Sie verlieren sich in Vorhersagungen, verschulden sich hoch, um immer wieder den Rat eines Wahrsagers zu konsultieren.
Doch, wie genau arbeiten Wahrsager? Zunächst gewinnt der Wahrsager das Vertrauen einer Person, indem er universelle Aussagen über sie trifft, die eigentlich jede Person ansprechen. Universelle Aussagen sind allgemein gehalten und oftmals mehrdeutig. Damit kann jede Person die Aussage für sich und ihre Situation passend interpretieren. Die ratsuchende Person fühlt sich direkt gesehen und erzählt bereitwillig mehr Dinge über sich und ihr Leben. Das erleichtert es dem Wahrsager weitere zutreffende Aussagen über die Person zu treffen. So entsteht schnell der Eindruck, der Wahrsager würde die Person schon kennen und über ihre Vergangenheit sowie Zukunft Bescheid wissen. Hinzu kommen meist gute Menschenkenntnisse und eine hohe Beobachtungsgabe der Körpersprache und Mimik, die es dem Wahrsager erleichtern, Aussagen über ihm eigentlich völlig unbekannte Personen zu treffen. Ähnlich funktionieren auch Horoskope. Wer hat nicht schonmal sein Horoskop gelesen und war erstaunt darüber, wie viele Aussagen für einen selbst zutreffend sind?
Der psychologische Mechanismus dahinter ist, dass wir allgemeingültige Aussagen so interpretieren, dass sie für uns persönlich zutreffend sind und wir sie somit als valide Aussagen akzeptieren. Zudem erinnern wir uns verstärkt an Aussagen, die stimmig sind als an Aussagen, die nichtzutreffend waren. Ein weiteres Phänomen, das es wahrscheinlicher macht, dass Vorhersagen eintreten, ist die Selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn man davon ausgeht, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es auch wirklich eintritt, weil man sich dementsprechend verhält und aufmerksamer für bestimmte Signale ist. Damit steigt auch die Trefferquote, also die Fälle, in denen die Vorhersage des Wahrsagers richtig liegt. Das wiederrum verstärkt den Glauben der Menschen und des Wahrsagers selbst in seine hellseherischen Fähigkeiten.
Es ist leicht, die Verantwortung für das eigene Handeln in andere Hände zu legen oder an das Schicksal abzugeben. Am Ende sind es aber immer noch wir selbst, die für unsere Entscheidungen und unser Handeln verantwortlich sind. Doch trotz aller Vorsicht, die bei der Vorhersagung zukünftiger Ereignisse geboten ist, können Wahrsager doch mit Empathie, Aufmerksamkeit und Anteilnahme zum seelischen Wohlbefinden der Ratsuchenden beitragen. Horoskope und Vorhersagungen können Menschen Orientierung und Mut geben, etwa neue Wege oder Veränderungen zu wagen oder selbstsicherer zu werden, in dem was sie tun. Dennoch sollte man sich nicht zu streng an das vorhergesagte Skript halten, sondern sich selbst und der eigenen Fähigkeit, auch unvorhergesehene Dinge meistern zu können, vertrauen. Denn eine gewisse Unvorhersehbarkeit macht das Leben doch erst lebenswert.
Hanna Lisa Heusel