Dr. Berit Lindau:

Warum wir lügen - Neue Forschung zur Unehrlichkeit

Gesellschaft / 14.6.2017 / 0 Kommentare

Warum wir lügen Neue Forschung zur Unehrlichkeit

 

Seien wir einmal ehrlich - wie oft am Tag sagen wir nicht die Wahrheit? Wie oft verschweigen wir einen wichtigen Aspekt oder beschönigen einen Umstand? Der Kollege fragt, was wir von seiner neuen Idee halten; die Vorgesetzte fragt nach dem Fortschritt einer komplexen Aufgabe - in vielen alltäglichen Situationen sind wir nicht vollkommen ehrlich und bedienen uns kleiner Lügen. Warum tun wir das?

Die Beispiele der Fragen des Kollegen oder der Vorgesetzen demonstrieren bereits einen der Hauptgründe, warum wir lügen: Unsere sozialen Beziehungen zu anderen Menschen sind für uns elementar wichtig und so sind wir bemüht, diese auf keinen Fall zu gefährden. Entsprechend antworten wir vielleicht lieber mit „gut!", wenn wir nach dem Fortschritt einer Aufgabe gefragt werden, um in den Augen der Vorgesetzten als kompetent dazustehen und sie nicht zu enttäuschen, anstatt ehrlich bestehende Probleme zu benennen.

In vielen Fällen sind diese kleinen Lügen des Alltags funktional, da sie uns erlauben, unsere sozialen Beziehungen aufrechtzuerhalten und zu pflegen. In anderen Bereichen jedoch, wenn es beispielsweise um den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens geht, werden Lügen und Betrügereien zum Problem, wie aktuelle Fälle wie der Abgasskandal bei VW eindrucksvoll zeigen.

Der Psychologe und Verhaltensökonom Dan Ariely, Professor an der Duke University, beschäftigt sich seit Langem mit dem Thema Unehrlichkeit und fasste seine Erkenntnisse unter anderem in seinem Bestseller „The Honest Truth About Dishonesty" zusammen. In zahlreichen Experimenten erforschten Ariely und Kollegen, was Personen zu unehrlichem Verhalten bewegt und was sie davon abhält. In einem typischen Experiment gaben sie Personen eine Reihe von Matheaufgaben, die diese in einer begrenzten Zeit lösen sollten. Nach Ablauf der Zeit wurden die Aufgabenbögen angeblich geschreddert, tatsächlich jedoch aufbewahrt. Die Teilnehmer gingen anschließend zum Versuchsleiter, teilten diesem mit, wie viele Aufgaben sie gelöst hätten, und bekamen basierend auf dieser Aussage Geld pro gelöster Aufgabe. Anschließend wurden diese Angaben mit der Anzahl der tatsächlich gelösten Aufgaben verglichen, um festzustellen, ob und wie sehr die Teilnehmer gelogen hatten. Es stellte sich heraus, dass die Teilnehmer im Schnitt etwa 4 Aufgaben lösen konnten, aber von im Durchschnitt 6 Aufgaben berichteten; ein Großteil der Teilnehmer log also ein wenig, um den Gewinn zu erhöhen. Nur sehr wenige Teilnehmer gaben eine Zahl an, die weit über der wahren lag; der weitaus größere wirtschaftliche Schaden wurde von den vielen Personen erzeugt, die nur geringfügig schummelten.

Die meisten von uns lügen und schummeln also ein wenig, um unsere Situation zum Positiven zu verändern, aber wir schrecken zurück vor großen Lügen und Betrug, selbst wenn keine Gefahr besteht, beim Betrug erwischt zu werden. Warum ist das so? Die Erklärung hinter diesem Verhalten ist, dass wir zwar zum einen eine Situation gerne zu unserem persönlichen Vorteil nutzen möchten, wir auf der anderen Seite aber auch ein Bedürfnis haben, uns selbst als ehrlichen Menschen betrachten zu können. Kleine Schummeleien gefährden dieses Selbstbild nicht; in dem Moment aber, in dem wir ein Verhalten als unmoralisch, z.B. als Diebstahl betrachten, würde dieses Verhalten unser Selbstbild gefährlich ins Wanken bringen. Aus diesem Grund haben wahrscheinlich sehr viele Personen schon mindestens einmal illegal Musik oder Filme aus dem Internet heruntergeladen; die wenigsten jedoch würden auch nur annähernd in Betracht ziehen, eine CD oder DVD aus einem Geschäft zu stehlen.

Übrigens: Als Ariely und Kollegen das Experiment dahingehend änderten, dass Personen für die Anzahl der gelösten Aufgaben nicht direkt Dollar, sondern Plastikchips bekamen, die sie jedoch sofort an einem nur wenige Meter entfernten Stand in Dollar tauschten, stieg das Ausmaß der Betrügereien dramatisch an. Je abstrakter die Situation ist, weil es wie in diesem Beispiel nicht unmittelbar um Geld geht, oder weil wir den Gegenüber, dem wir mit unserem Verhalten schaden, nicht kennen / sehen, desto weniger schlecht fühlen wir uns, eine Situation zu unserem Vorteil auszunutzen. Für unsere Geschäftswelt, in der Transaktionen zunehmend elektronisch ablaufen, ohne direkten Kontakt und mit virtuellem Geldtransfer, ist dies ein beunruhigendes Phänomen.

Was also könnten Unternehmen und Institutionen tun, um Unehrlichkeit zu reduzieren? Eine Möglichkeit ist, Personen an ihre eigenen Werte und Moralvorstellungen zu erinnern. Dies lässt sich schon mit einfachen Mitteln erreichen: So zeigte sich in einer Studie, dass das Ausmaß an falschen Angaben in einem Formular zur Steuerrückzahlung deutlich abnahm, wenn die Personen VOR der Beantwortung per Unterschrift versicherten, dass alle ihre Angaben der Wahrheit entsprächen, anstatt diese Unterschrift wir üblich erst am Ende des Formulars zu leisten. Vor Gericht wird dies schon seit Langem praktiziert: Zeugen schwören einen Eid, BEVOR sie mit ihrer Aussage beginnen, nicht erst im Anschluss. Denn ist die Lüge erst einmal ausgesprochen, fällt es uns leicht, eine Rechtfertigung dafür zu finden. Wenn wir also an unsere Werte wie Ehrlichkeit erinnert werden und uns diesen z.B. per Unterschrift verpflichten, sind wir anschließend motiviert, uns diesen Werten entsprechend zu verhalten. Das beste Rezept gegen Lug und Trug ist also nicht die Angst vor Strafe – es sind unsere eigenen Werte!

 

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