Abstinenz der Nähe – und die Sehnsucht nach ihr
Gesellschaft / 10.5.2020 / 0 Kommentare
Meetings per Videochats sind intensiv und effektiv – das haben wir spätestens während Corona gelernt. Durch die hohe Konzentration auf den Inhalt und das Fokussieren der Kamera und des Displays bleibt wenig Möglichkeit der Ablenkung.
Nach anfänglicher Skepsis freundeten sich sowohl Lehrer, Schüler und Eltern mit Lernplattformen an und die Nutzung von Online-Bildungsangeboten für Mitarbeitende ist nach Ausbruch der Krise um 30 Prozent gestiegen. Die Vorteile überzeugen, sodass sich das Lehren und Lernen nachhaltig verändern wird.
„Stay Home" und die Lösung hieß Fitness über Livestream, Einkaufen über den Supermarkt-Lieferservice, das Geschenk zum Muttertag online bestellt und per Kurier geliefert.
Unser Land wurde in den letzten Wochen digitaler, unsere Kommunikation virtueller - und das Leben isolierter. Und nach Corona?
Die digitale Welt funktioniert analog zur realen Welt. Sie ist jedoch nicht identisch mit ihr. Bei all den Errungenschaften durch Homeoffice und Co. bleiben Menschen soziale Wesen. Je nach Persönlichkeitsstruktur benötigten sie unterschiedlich intensiv zwischenmenschliche Kontakte, das Gefühl, in eine Gemeinschaft eingebunden zu sein und körperliche Nähe. Nach wochenlanger Disziplin sind reale menschliche Begegnungen wertvoller und begehrter denn je.
Treffen sich Menschen in einem Raum, so wandert der Blick jedes Einzelnen umher. Details der Umgebung, Gerüche, Temperatur und Licht werden beiläufig registriert. Körpersprachliche Signale werden wahrgenommen und gesendet. (Sitz)positionen werden gewählt, Gruppen gebildet, Atmosphäre und Nähe entstehen und Beziehungen werden deutlich. Auf der nonverbalen und verbalen Ebene entsteht Kommunikation – zeitgleich, vielschichtig und unplanbar. Unsere Sehnsucht nach der sinnlichen Welt ist gestillt.
Daher: Halten Sie Abstand – aber kommen Sie sich wieder näher!
Silvia Habedank